Interview von Félix Braz im Forum

"Eine nuancierte Antwort”

Interview: Forum

Forum: Im Koalitions-Abkommen zwischen den Regierungsparteien von Dezember 2013 war ein Gesetz zur Burka nicht vorgesehen.

Félix Braz: Ein was? (schmunzelt)

Forum: Ein Gesetz zur Gesichtsverschleierung.

Félix Braz: Sie meinen ein Gesetz zum Vermummungsverbot.

Forum: Haben Sie sich in dieser Frage von Facebook und rtl.lu ein Gesetz aufzwingen lassen?

Félix Braz:  Haben Sie den Eindruck?

Forum: Ja.

Félix Braz:  (lacht) Nein. Ich arbeite mit Argumenten, nicht mit Druck.

Forum: Dass die Regierung hier mit einem Gesetzesvorschlag aktiv würde, kann kaum in Ihrem Sinne gewesen sein?

Félix Braz: In einem Koalitions-Abkommen steht nicht alles, was eine Regierung in fünf Jahren macht.

Forum: Aufgrund aktueller Diskussionen entsteht oftmals neuer Handlungsbedarf und deswegen die Frage.

Félix Braz: Ja. Vieles, wie gesagt, was eine Regierung unternimmt, steht nicht im Koalitions-Abkommen. Es entsteht durch Realitäten. Das können europäische oder nationale sein, auf die man dann reagieren muss. Die Diskussion um das Vermummungsverbot ist so ein Fall.

Forum: Diese Realitäten meinen wir, wenn wir von rtl.lu und Facebook sprechen. 

Félix Braz: Sie übersehen, dass die Diskussion schon unter der vorherigen Regierung angestoßen wurde. Ein Abgeordneter der ADR hatte Ende 2013 eine parlamentarische Frage gestellt — damals an François Biltgen, Jean-Marie Halsdorf und Mady Delvaux — ob man vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise auf das Phänomen der Vollverschleierung nicht legislativ reagieren müsse. Die drei Minister, zwei von der CSV und eine von der LSAP, waren in ihrer Antwort der Meinung, dass die auch heute noch gültige kommunale Reglementierung die besagte Situation bereits ausreichend abdecken würde.

Die jetzige Regierung bekam — da war sie schon eine Zeitlang im Amt und die Umstände hatten sich keineswegs verändert — die gleiche Frage gestellt, diesmal aber von Seiten der Oppositions-CSV. Als Argument, weswegen Handlungsbedarf vorläge, diente wieder die Flüchtlingskrise. Die zuständige Ministerin, Corinne Cahen (DP), wies darauf hin, dass in keinem einzigen Flüchtlingsheim, in keiner der Prozeduren eine einzige Person mit Gesichtsverschleierung aufgetreten wäre.

Insofern gibt es keine objektive Verbindung zwischen der sogenannten "Flüchtlingskrise" und einer zunehmenden Anzahl von Menschen, die ihr Gesicht völlig verschleiern. Und obwohl es also keine objektive Verbindung gibt, wurde die Frage trotzdem gestellt. Das hat, wie Sie ja wissen, eine rege Diskussion im Lande losgetreten, so dass ganz verschiedene Argumente im Rahmen dieser Debatte aufkamen — einige, die ich teile, und andere, die ich nicht teile.

Das Vermummungsverbot an sich — und das unterscheidet uns von anderen Ländern, in denen die Debatte geführt wurde —gibt es in Luxemburg schon seit über einem Jahrhundert. Wir haben also nicht darüber diskutiert, ob wir es einführen sollten — in Luxemburg Stadt besteht die entsprechende Regelung schon seit 1902 und darüber hinaus in praktisch der Hälfte aller Gemeinden in Luxemburg. In den anderen aber nicht. Ein eher geteiltes Luxemburg demnach.

Forum: In den kommunalen Regelungen ist also ein generelles Vermummungsverbot vorgesehen? 

Félix Braz: Ja, in 47 Gemeinden um genau zu sein. In über 60 Gemeinden besteht ein "règlement général de police" und in 47 von diesen ist ein Vermummungsverbot vorgesehen. In jenen Gemeinden, in denen es besteht — und das sind hauptsächlich die großen Gemeinden — wohnen über 72 % der Bevölkerung des Landes. Das bedeutet, dass unsere Ausgangssituation hier in Luxemburg nicht die Frage war, ob wir ein Vermummungsverbot einführen sollen oder nicht, sondern wie es ausgestaltet sein soll. Das Vermummungsverbot ist in den Gemeinden, die es kennen nicht in überall gleich gestaltet. Die meisten Gemeinden haben sich an Luxemburg-Stadt inspiriert, aber nicht komplett. Es gibt also Variationen und ganz unterschiedliche Situationen innerhalb der Gemeinden, und das ist der Ausgangspunkt. 

Als Regierung sind wir eigentlich der gleichen Ansicht gewesen wie die vorherige Regierung: In unseren Augen decken die kommunalen Regelungen diese Frage ausreichend ab. Wir haben aber die Meinung des Staatsrates eingeholt, weil der rechtliche Wert der kommunalen Regelungen in Frage gestellt wurde. Sind die kommunalen Regelungen das wert, was wir glauben, dass sie wert sind? Es gab Gründe Zweifel zu haben.

Am Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg war in Bezug auf das französische Gesetz geklagt worden — die haben ja ein generelles Vermummungsverbot — und in Frankreich wie auch in Belgien herrschen ganz ähnliche Dispositionen.

Straßburg hat entschieden, die französischen und belgischen Gesetze seien grundsätzlich nicht im Widerspruch zu den Menschenrechten. Diese Frage ist also abgehakt, trotzdem hat Straßburg nicht die ganze Argumentation von Frankreich akzeptiert.

Straßburg hat nämlich argumentiert, dass ein Vermummungsverbot nur mit dem Verweis auf das "vivre ensemble" begründet werden kann, also nicht mit Sicherheitsargumenten. Genau das hatte Frankreich aber versucht, woraufhin Straßburg geantwortet hat: "Das kommt nicht in Frage. Wenn überhaupt, könnt ihr ein Vermummungsverbot nur durchsetzen, das dann auch religiös motiviert sein darf, wenn es an den Aspekt des vivre ensemble gekoppelt ist, also an die Art und Weise, wie ihr in Frankreich zusammenleben möchtet." Und in diesem Punkt macht Straßburg keine Vorgaben, die Kriterien für ein friedliches "Zusammenleben" können in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich sein, und jedes Land entscheidet für sich, wie das Zusammenleben gestaltet sein soll. Andererseits könne ein Vermummungsverbot nur auf der Basis eines Gesetzes stattfinden. 

In Luxemburg haben wir kommunale Regelungen, ein Dekret und ein Gesetz von 1789 und 1790, die besagen, dass die Gemeinden im Bereich der "salubrité, der tranquilité publique und der sécurité" Regeln aufstellen dürfen. 

Auf dieser Basis hatten wir aber Zweifel, ob die kommunalen Regelungen Bestand haben und haben den Staatsrat darauf angesprochen, ob eine kommunale Regelung ein Vermummungsverbot, unter das auch eine religiös begründete Vermummung (Vollverschleierung) fallen würde, überhaupt regeln kann, weil wir da ganz schnell in den Bereich der Religionsfreiheit bzw. der freien Meinungsäußerung fallen.

Die heute bestehende "base légale", auf deren Grundlage die Gemeinden reglementieren, erlaubt nur die Reglung des "ordre public matériel", so der Staatsrat. 

So kann z.B. bei einer öffentlichen Veranstaltung aus Sicherheitsgründen jeder sein Gesicht zeigen müssen — dies kann eine Gemeinde punktuell anordnen, weil es sich dabei um eine aus Sicherheitsgründen motivierte Regelung handelt, die während dieser Veranstaltung punktuell wirksam ist. Wenn es sich aber um eine permanente Regelung handelt, die ja dann nicht nur innerhalb der Zeitspanne einer bestimmten Veranstaltung (des Fußballspiels oder des Konzerts), sondern grundsätzlich und dauerhaft wirksam sein soll, fällt eine Regelung, unter die dann auch die Vollverschleierung fallen kann, in den Rahmen des "ordre public moral" und nicht des "ordre public matériel". Dies wiederum fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. Im Klartext bedeutet dies, dass alle kommunalen Regelungen, die wir heute haben grundsätzlich weiterhin wirksam bleiben können, aber nicht in dem Bereich, der viele Leute in dieser Debatte bewegt — auf Ebene der Vollverschleierung!

Der Staatsrat hat uns dabei nicht vorgeschrieben, was wir zu machen haben. In der Presse hat das zeitweilig so geklungen.

Es gab Kommentare wie "Die Regierung versteckt sich hinter dem Staatsrat". Ich habe das bei der Vorstellung des Textes deutlich klargestellt. Der Staatsrat hat uns nicht gesagt, wie eine Lösung auszusehen hat. Er hat uns lediglich über die Rechtslage orientiert. Im Zuge der Analyse des Staatsrats wurde klar, dass weder die derzeitige noch die vorherige Regierung in Beantwortung der "questions parlementaires", die ich vorhin erwähnt habe, die Sachlache abschließend eingeschätzt hatten.

Forum: Wie sind Sie die Frage angegangen?

Félix Braz: Wir hätten die Option gehabt, die kommunale Lösung, die wir in Teilen des Landes schon seit über 100 Jahren haben, auf eine neue, stabilere Grundlage zu stellen und ein Gesetz zu beschließen, das den Gemeinden auch im Bereich des "ordre public moral” eine belastbare rechtliche Grundlage gewährt. Dies wiederum hätte aber dazu geführt, dass sämtliche Gemeinden, die das denn gewollt hätten, auf Basis eines neuen Gesetzes neue kommunale Regelungen hätten ausarbeiten müssen. Was wiederum bedeutet hätte, dass wir in potenziell 105 Gemeinden Diskussionen über "Vermummung" ausgelöst hätten. Ich wollte das nicht. Ich bin nicht der Ansicht, dass man innerhalb eines Landes in dieser Frage 105 neue und unterschiedliche Debatten — mit nachher von Gemeinde zu Gemeinde auch im Detail unterschiedlichen Ergebnissen — führen sollte, was nicht wirklich zusätzliche Klarheit, sondern für die Bürger und die Autoritäten (z.B. die Polizei) auch in der Umsetzung erhebliche neue konkrete Probleme schaffen könnte. Ich war vor diesem neuen Hintergrund der Ansicht, dass man ein Gesetz schaffen sollte, das die Angelegenheit ausschließlich auf nationaler Ebene regelt. In dem Falle würden die Kompetenzen, aber auch die Kontrolle dieser Frage aus den Händen der einzelnen Gemeinden genommen und national geregelt. Somit gäbe es dann zu dem spezifischen Aspekt der religiös motivierten Vermummung auch keinerlei Vorgaben mehr im "règlement général de police", die dann von den "agents communaux" — wenn sie denn mal mehr Kompetenzen bekämen — durchgesetzt werden müssten. 

Aus diesem Grunde habe ich der Regierung vorgeschlagen, die Kompetenzen integral in die Hände der nationalen Autoritäten zu übertragen. Dabei hatten wir zwei Optionen: entweder uns am belgisch-französischen oder am niederländisch-deutschen Modell zu inspirieren. Wenn auch unter der CDU/CSU-SPD-Regierung kein spezifisches Gesetz zustande kam so gab es aber einen politischen Konsens, im Gegensatz zu Frankreich und Belgien, nicht auf den Weg des Vermummungsverbots im gesamten öffentlichen Raum zu gehen.

Wie in den Niederlanden sollte sich auch in Deutschland das Verbot auf bestimmte öffentliche Gebäude beschränken. So sieht es auch das Luxemburger Modell vor.

Forum: Wie ist Ihr Vorgehen in den Gemeinden und der Öffentlichkeit aufgenommen worden?

Félix Braz: Wir haben ja diesbezüglich zwei zum Teil diametral unterschiedliche Einschätzungen in Luxemburg. 58 von 105 Gemeinden sind bis heute der Meinung, dass sich für sie hier kein Problem stellt, und haben kein Vermummungsverbot. Andere sind der Meinung, dass eine Regelung der Frage notwendig war und ist. Die Regierung hat den Versuch unternommen, eine juristisch standhafte Antwort zu geben, mit dem Ziel, dass innerhalb des Landes eine und nicht 105 Debatten geführt werden und eine nuancierte Lösung gewährleistet ist. Einerseits wollen wir klar den Punkt setzen, dass hierzulande jede Frau und jeder Mann sich immer und überall frei fühlen soll, sein Gesicht zu zeigen, und es auch an unterschiedlichen Stellen tun muss. Dafür gibt es gute Gründe. Andererseits ist jeder in Luxemburg grundsätzlich frei seine Kleiderordnung selbst auszuwählen und seine Religionsfreiheit auszuleben. Die Religionsfreiheit gilt in Luxemburg aufgrund unserer Verfassung — aber auch aufgrund internationaler Konventionen, denen wir beigetreten sind - 'für alle Religionen und wird im Respekt der Gesetze praktiziert. Anti-islamistische Zwischenrufe als Teil der Argumentation für ein Vermummungsverbot, oder eher Vollverschleierungsverbot, sind deswegen nicht hinnehmbar.

Für ein Vermummungsverbot — ein allgemeines, unter das auch eine religiös motivierte Vermummung fallen würde — gibt es demnach Argumente, die ich teile und solche, die ich überhaupt nicht teile. Diese Diskussion unter der Prämisse "die, die für ein Vermummungsverbot sind, sind alle rechtsextrem und anti-islamistisch" führen zu wollen, halte ich für schlicht-weg falsch. Die Diskussion wird hierzulande im Übrigen nicht allein zwischen den Parteien geführt, sondern sie wird immer auch innerhalb der Parteien geführt. Auch meine Partei, die Grünen, hatten im vergangenen Jahr auf ihrem Kongress eine kontroverse Diskussion zu dieser Frage, wo letztlich eine "Motion" gestimmt wurde, die einen Kompromiss darstellte. In dem Gesetzesprojekt, das ich im Namen der Regierung eingereicht habe, ist dieser Kompromiss Eins zu Eins übernommen worden. Deshalb stehe ich auch hinter dem Text. 

Forum: Anders als CSV und ADR, die ein generelles Vermummungsverbot im gesamten öffentlichen Raum einfordern, möchten Sie ein Vermummungsverbot, das nur an bestimmten öffentlichen Plätzen gelten soll. 

Félix Braz: ADR und später die CSV haben sich für das französisch-belgische Modell ausgesprochen, das in Europa das am weitest gehende Modell ist und eine Ausnahme darstellt. Wir halten unseren Ansatz für ausgewogener und deshalb ausreichend, weil es in unserer Gesellschaft neben dem Gesetz noch andere Wege gibt, um Zusammenleben zu gewährleisten. Wir können als Gesellschaft mit Minderheiten und Differenzen auch anders umgehen als nur mit Verboten. Ich wiederhole in diesem Zusammenhang gerne, was der deutsche Innenminister, Thomas de Maizière, der ja grundsätzlich nicht zimperlich ist, im Rahmen dieser Debatte in Deutschland gesagt hat: „Man kann nicht alles verbieten, was einem nicht gefällt".

Forum: Vielen Dank Felix Braz für das Gespräch!

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