"Ich möchte jetzt schnell vorankommen"

Interview von Felix Braz im Luxemburger Wort

Interview: Luxemburger Wort (Annette Welsch)

Luxemburger Wort: Félix Braz, es hagelt Kritik an der Kinderrechtssituation in der Justiz: Renate Winter, die Präsidentin des UN-Kinderrechtskomitees, die kürzlich hier war, wies auf grundsätzliche Verstöße hin. War Ihnen das bewusst?

Felix Braz: Das entspricht schon seit 20 Jahren der Realität. So lange wird auch schon an einer Reform des Jugendschutzes gearbeitet. Ich habe deswegen 2016 eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Mein Versuch war es, Akteure, wie die beratende Menschenrechtskommission, das ORK, die Media- teurin und die Justizautoritäten im Ministerium zusammenzubringen und zunächst prinzipielle Fragen zu diskutieren. Wie eben die, ob wir Jugendschutz oder Jugendstrafrecht machen wollen. Es hieß unisono: "Wir wollen beim Jugendschutz bleiben." Aufbauend darauf wurde ein Gesetzestext geschrieben.

Luxemburger Wort: Es heißt von allen Seiten, das neue Jugendschutzgesetz sei von der Staatsanwaltschaft geschrieben worden.

Felix Braz: Nein, der Text wurde von einem Beamten hier im Haus geschrieben und er wurde in der Arbeitsgruppe Zeile für Zeile, Wort für Wort diskutiert. Erst wenn alle Bemerkungen ausdiskutiert waren, sind wir weitergegangen.

Luxemburger Wort: Der Text wird aber nun heftigst kritisiert. Wie erklären Sie sich das?

Felix Braz: Das war eine Konsensbemühung, die natürlich nicht alle individuellen Überzeugungen voll widerspiegelt. Wenn jetzt der Text, über den - ich sage es noch einmal - Konsens bestand, von Verschiedenen nicht mehr getragen wird, kann ich mich nur wundern und auch ärgern. Denn dann hätten wir schon viel früher in eine andere Richtung denken können. Jetzt besteht eine gewisse Umkehr: Die volle Zustimmung zum Jugendschutz ist einer Mischform mit Jugendstrafrecht und geteilten Meinungen sogar innerhalb der Organisationen gewichen. Aber diese Passage musste wohl sein, und ich möchte sie auch nicht missen, denn immerhin haben wir einen Text fertigbekommen, der auch viel Gutes enthält.

Luxemburger Wort: Was geschieht nun damit?

Felix Braz: Ich bin noch entschiedener, die Reform durchzuziehen und zwar schnell. Luxemburg braucht ein modernes Jugendschutzgesetz, ich möchte, dass Luxemburg in diesem Bereich nach 20 Jahren endlich gut da steht. Wenn das dann nicht von allen Akteuren im Konsens ausgemacht wurde - so be it. Was für mich jetzt ein wichtiger Moment war - und dafür bedanke ich mich - ist der Konferenzzyklus, den die Universität Luxemburg organisiert hat und mit dem eine Reihe Experten nach Luxemburg gebracht werden. Wie beispielsweise Frau Renate Winter und Frau Ursina Weidkuhn, eine internationale Expertin in Jugendjustiz aus der Schweiz. Die Gespräche mit Frau Winter und auch mit Frau Weidkuhn waren für mich sehr aufschlussreich. Ich denke, dass Frau Winter grundsätzlich die richtige Richtung aufzeigt - ich werde sie zusammen mit einer Reihe Leuten aus dem Ministerium und der Magistratur in zehn Tagen wiedersehen.

Luxemburger Wort: Was heißt das, die richtige Richtung?

Felix Braz: Ich schlage allen Akteuren vor, dass wir die 20 Jahre dauernde Diskussion Jugendschutz oder Jugendstrafrecht hinter uns lassen. Die Antwort ist nicht entweder oder, sondern, was wir brauchen ist der kinderrechtsbasierte Ansatz, der sowohl Elemente von Jugendschutz als auch von Jugendstrafrecht hat. Das dürfen keine isolierten Teile sein, sondern sie müssen aufeinander abgestimmt sein, um ein lückenloses Vorgehen zu erreichen. Ich möchte mich da an der Schweiz inspirieren. Dort ist man denselben Weg gegangen: Sie hatten Jahre lang ein Jugendschutzgesetz, haben dann ein Jugendstrafrecht eingeführt - so, wie wir das auch hier im Land nun vernehmen - und als sie das hatten, haben sie entschieden, beides zu machen mit klaren kinderrechtsbasierten, übergeordneten Prinzipien. Wir sollten ähnlich wie in der Schweiz vorgehen, aber die zweite Etappe überspringen und direkt auf die - dritte Etappe übergehen. Wenn wir also jetzt, so wie es sich anbahnt, riskieren, eine Jugendstrafrechtsdebatte zu bekommen, dann sage ich Stopp - lasst uns das überspringen. Lasst uns alle zusammen, auch mit Vertretern von außen, wie der Fédération des acteurs du secteur social (Fédas) oder der Association nationale des communautés éducatives et sociales (Ancés) - die Sozialarbeiter und Erzieher, die Praktiker vom Arbeitsfeld an einer modernen Lösung arbeiten. Im Bewusstsein, dass wir hinterher noch eine Transitionsphase brauchen, um alles auch umsetzen zu können - auch punktuelle Infrastrukturänderungen.

Luxemburger Wort: Bringen Sie einen neuen Text oder Änderungsanträge ein oder lassen Sie die Kommission nun das Beste daraus machen?

Felix Braz:  Ich möchte jetzt schnell vorankommen. Ich bin fest entschlossen, mit Frau Winter und Frau Weidkuhn, die ihre Hilfe angeboten haben, den Text, den wir haben, zu überarbeiten. Das müsste auch einen breiten Konsens finden, und ich denke, dass wir relativ schnell Abänderungen einbringen werden. Sie werden auf dem ganzen Input beruhen - den Gutachten zum Gesetz, den Beiträgen von Frau Winter und Frau Weidkuhn und von anderen internationalen Experten sowie den Praktikern aus dem Sozialbereich. Wir werden wegen unserer Spezifizitäten kein Gesetz „copy/pasten", aber die Prinzipien eines zeitgemäßen Ansatzes müssen wir ja nicht neu erfinden. Wir können das Projekt ganz sicher über Abänderungen dahin bringen, dass es internationalen Standards entspricht.

Luxemburger Wort: Den Wendepunkt brachte also die Uni mit ihren Konferenzen - wäre es nicht Ihre Aufgabe gewesen, den internationalen Austausch, den Input von außen anzuregen?

Felix Braz: Am Tisch saßen ja alle Akteure und Experten, die seit 15 Jahren in Luxemburg die Hauptrolle im Jugendschutz spielen. Der Ansatz, sie an den Tisch zu bekommen, war richtig. Der Vorwurf, den ich mir machen kann, ist, dass es im Nachhinein vielleicht besser gewesen wäre, auch andere Personengruppen hinzuzuziehen, wie die Praktiker aus dem Sozialbereich von der Fédas und Ancés. Das hätte der Sache vielleicht gut getan, das bleibt aber eine Hypothese.

Luxemburger Wort: Wird es denn in diesem neuen Text immer noch möglich sein, Minderjährige nach Schrassig zu schicken?

Felix Braz: Wir sind uns alle einig, dass Minderjährige, die eine Straftat begangen haben, in eine geschlossene Anstalt gehören, sie haben aber nichts im Erwachsengefängnis verloren. Die Schwierigkeit ist, dass sie in der Unisec, die ja eine Jugendhaftanstalt, ein Gefängnis ist, zusammen mit Jugendlichen sitzen, die lediglich von zu Hause fortgelaufen sind, nicht zur Schule gegangen oder sich geschlagen haben, also sogenannte Statusdelikte begangen haben.

Luxemburger Wort: Die eigentlich auch nichts in einer Haftanstalt verloren haben.

Felix Braz: Das stimmt. Ich habe den Gedanken in die Arbeitsgruppe eingebracht, die Jugendhaftanstalt nur noch für minderjährige Straftäter zu nutzen. Das Problem ist, dass uns möglicherweise die kritische Masse fehlt. Mit anderen Worten: Wir riskieren, dass jugendliche Straftäter quasi in Isolationshaft sitzen. Meiner Auffassung nach müssten wir auch junge Erwachsene, die straffällig wurden, in die Unisec setzen können. All das diskutieren wir nun.

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