Interview von Félix Braz mit dem Luxemburger Wort

"Der steinige Weg zur echten Datenschutzkultur"

Interview: Luxemburger Wort (Dani Schumacher)

Luxemburger Wort: Félix Braz, sind Sie immer noch gerne Justizminister? 

Félix Braz: Ja, absolut. Ich bin sehr froh, dass ich das Justizressort noch einmal fünf Jahre lang betreuen darf und freue mich auf die neuen Aufgaben.

Luxemburger Wort: Zuletzt standen Sie in der Datenschutzdebatte wegen der Datei der Justiz in der Kritik. Auch nach mehreren Ausschusssitzungen und einer fast fünfstündigen Debatte im Plenum bleiben noch Fragen offen. Nach welchen Kriterien speichert die Justiz denn nun die Daten?

Félix Braz: Wir haben bislang wenig über Datenschutz diskutiert, es war zu viel Polemik im Spiel. Die eigentliche Debatte zur praktischen Umsetzung des neuen Datenschutzgesetzes steht noch aus. Datenschutz ist keine Steuerreform, die an einem bestimmten Tag in Kraft tritt. Die Umsetzung ist ein Prozess. Die Prinzipien des Datenschutzgesetzes müssen mit Leben gefüllt werden. Das wird noch Jahre dauern. In dem Punkt sind sich die Experten einig. Das gilt für die Polizei und die Justiz, aber auch für alle anderen staatlichen oder kommunalen Datenbanken. Es ist daher irreführend, wenn immer wieder betont wird, das Gesetz werde nicht eingehalten. In den nächsten Wochen müssen wir sachlich darüber diskutieren, ob und wo es bei der Umsetzung noch Luft nach oben gibt. Nichts spricht dagegen, dass wir nach der Diskussion bei Bedarf Änderungen an dem Text vornehmen. 

Luxemburger Wort: Nach welchen Kriterien wird denn nun gespeichert, beziehungsweise gelöscht? 

Félix Braz: Es ist nicht an mir als Justizminister, diese Regeln für die Praxis der dritten Gewalt zu bestimmen, es muss sich an die Rahmengesetze gehalten werden. Im Gegensatz zu anderen Institutionen sammelt die Justiz keine Daten zwecks Datennutzung. Sie ist für die Strafverfolgung zuständig und klärt Verbrechen auf, oft auch sehr alte. Die Generalstaatsanwältin Martine Solovieff hat in den Kommissionssitzungen und vor der Presse erklärt, dass abgesehen von laufenden Untersuchungen einfache Vergehen nach zwei Jahren aus der aktiven Datenbank ins Archiv transferiert werden, schwerere nach drei Jahren. Während der Zeit in der aktiven Datenbank können die Daten von Personen, die zugangsberechtigt sind, eingesehen werden.

Nach der Archivierung ist der elektronische Zugriff so nicht mehr möglich. Es braucht dann die Genehmigung der Generalstaatsanwältin auf begründeten Antrag hin. Dazu muss man wissen, dass die Ju-Cha-Datei im Gegensatz zur Zentraldatei der Polizei keine Inhalte enthält, es ist vielmehr ein Inhaltsverzeichnis. 

Das eigentliche Dossier gibt es nach wie vor in der Regel nur in Papierform und nur Personen, die mit dem Fall betraut sind, haben der Strafprozessordnung zufolge Zugang. 

Luxemburger Wort: Auslöser der Debatte war ein Bewerbungsgespräch, bei dem auf Daten aus der Ju-Cha-Datei zurückgegriffen wurde. Hatte die Staatsanwaltschaft das Recht dazu? 

Félix Braz: Die Magistratur hat öffentlich erklärt, dass sie die legale Basis aus dem Beamtenstatut und dem Attachés-Gesetz ableitet und in der Vergangenheit dahin gehend interpretiert hat, dass es durchaus zulässig ist, bei Bewerbungsgesprächen auf die Datei zurückzugreifen. Justizmitarbeiter müssen höchste Gewähr bieten, auch weil das Untersuchungsgeheimnis und die Unschuldsvermutung absolut geschützt werden müssen. Falls nötig, wird sich die Magistratur klareren Kriterien im Gesetz nicht widersetzen, sie will nicht Gegenstand öffentlicher Polemik sein. 

Luxemburger Wort: Wie geht es denn nun weiter, brauchen wir ein zweites Gesetz? 

Félix Braz: Unser Datenschutzgesetz basiert auf dem EU-Datenschutzpaket, das unter luxemburgischem EU-Vorsitz 2015 von mir im Justizrat ausgehandelt wurde. Und ich bin stolz darauf. Das Paket gilt für alle 28 EU-Mitgliedsländer. 

Unsere gesetzliche Grundlage ist also die gleiche wie in allen übrigen EU-Ländern und folglich nicht lückenhafter als andere. Es stellt sich aber die Frage nach der praktischen Umsetzung. Wir können nicht alles millimetergenau regeln. Beim Datenschutz galt früher, dass man vorab eine Genehmigung beantragen musste, wenn man Daten speichern wollte. Diese Logik ist wegen der riesigen Datenmengen nicht mehr praktikabel. Das EU-Daten -schutzpaket bedeutet auf vielen Punkten einen Paradigmenwechsel. Es legt den allgemeinen Rahmen fest, in dem sich die staatlichen und die kommunalen Verwaltungen, aber auch die Betriebe bewegen müssen. Die praktische Umsetzung fällt also unter ihre Verantwortung. Halten sie sich nicht an die Spielregeln, können sie zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür ist die nationale Datenschutzkommission, oder im Fall der Justiz die Autorité de contrôle judiciaire zuständig. 

Diese Logik ermöglicht es, aus der Praxis heraus Korrekturen vorzunehmen. Wenn sich herausstellen sollte, dass es bei allen Institutionen die gleichen Probleme gibt, kann man die legale Basis durchaus weiterentwickeln. Etwas, was heute in der Praxis festgehalten wird, kann morgen auch via Gesetz allgemeine Gültigkeit bekommen. Ein völlig neues Gesetz kann es nicht geben, denn auch ein neuer Text müsste das EU-Datenschutzpaket umsetzen. Es kann aber ergänzt werden. 

Luxemburger Wort: Reichen die Befugnisse, aber auch die Mittel der Kontrollinstanzen aus? 

Félix Braz: Das Gesetz vom 1. August 2018 stärkt die Kontrollinstanzen. Durch die Umsetzung des EU-Datenschutzpakets wurden viele Erfordernisse in Luxemburg überhaupt erst gesetzlich verankert. Die allgemeine Datenschutzkommission verfügt heute über mehr Befugnisse als vorher und sie wurde personell aufgestockt. Das Datenschutzgesetz schreibt zudem vor, dass Behörden, aber auch Privatunternehmen Datenschutzbeauftragte einstellen müssen. Man kann natürlich die Logik einer immer stärkeren Kontrolle weiterspinnen. Doch nur mit einer Steigerung der Kontrollkapazität erreicht man keinen optimalen Datenschutz. Wir würden lediglich alten Verhaltensmustern der Vorabkontrolle nachtrauern, die aber wegen der Datenflut heute nicht mehr möglich ist. Wir brauchen eine kontinuierliche Selbstkritik und Kontrolle, verbunden mit der Möglichkeit von Strafmaßnahmen bei Zuwiderhandlungen. Unser Ziel muss eine echte Datenschutzkultur sein.

Luxemburger Wort: Diese Datenschutzkultur ist in Luxemburg aber noch etwas unterentwickelt, oder? 

Félix Braz: Man kann die Datenschutzkultur sicherlich verbessern. Sie ist in Luxemburg aber nicht schlechter oder besser als in den anderen EU-Ländern. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass das Datenschutzgesetz noch nicht einmal ein Jahr in Kraft ist. Wie ich bereits gesagt habe, die Umsetzung ist ein kontinuierlicher Prozess. Wir sind auf dem richtigen Weg und wir sind besser aufgestellt, als die polemische Debatte vermuten lässt. Wenn wir in den nächsten Wochen sachlich über das Thema diskutieren, bringt uns dies einen großen Schritt weiter.

Luxemburger Wort: Sie sind mit dem Versprechen angetreten, eine große Justizreform in die Wege zu leiten. Welche Punkte wurden bislang umgesetzt, was bleibt noch zu tun? 

Félix Braz: Die wichtigsten Punkte der Justizreform sind mit der Verfassungsreform verbunden. Es geht vor allem um die Schaffung eines Nationalen Justizrats, der aber auch per Gesetz und konform zur aktuellen Verfassung eingeführt werden könnte. Ziel ist es, die Unabhängigkeit der Justiz vor allem gegenüber der Exekutive zu stärken. In der Praxis funktioniert die Unabhängigkeit seit langem, doch in der aktuellen Verfassung ist sie nicht hinreichend verankert. Die Gesetzentwürfe, die die Verfassung tangieren, wie etwa der Text zum Nationalen Justizrat, liegen vor. jetzt hängt vieles von der Verfassungsreform ab, beziehungsweise von der Frage, wann die Novellierung in Kraft treten kann. Doch darauf habe ich als Minister keinen Einfluss, die Verfassung fällt in die Kompetenz des Parlaments. 

Luxemburger Wort: Wie beurteilen Sie die Haltung der CSV, die ihre Zustimmung von einem Referendum zu konkreten Fragen abhängig macht? 

Félix Braz: Als Abgeordneter habe ich fast zehn Jahre lang an dem Projekt mitgearbeitet. Mir blutet das Herz, weil die Verfassungsreform nun kurz vor dem Ziel ins Stocken geraten ist, zumal es im vergangenen Sommer noch einen breiten Konsens in Bezug auf den Inhalt, aber auch hinsichtlich der Bürgerbeteiligung gab. Ich will aber optimistisch bleiben. Allerdings sind alle Beteiligten gefordert, im Konsens, keiner kann sich behaupten wollen. Das Land braucht eine moderne Verfassung.

Luxemburger Wort: Die Justizreform ist das eine, die personelle Aufstellung der einzelnen Gerichtsbarkelten das andere. Gibt es genügend Richter und Justizmitarbeiter?

Félix Braz: Bei der Besetzung der Magistratur haben wir in den vergangenen fünf Jahren enorme Fortschritte erzielt. Noch unter der vorherigen Regierung konnten die ausgeschriebenen Posten oft nicht besetzt werden, weil es nicht genügend Bewerber gab. Wir haben deshalb die Rekrutierungsprozeduren angepasst. Wir haben Brücken gebaut, um den Anwälten den Wechsel in die Magistratur zu erleichtern. Das Gesetz zeigt Wirkung, wir konnten die ausgeschriebenen Stellen ausnahmslos besetzen. 2013 gab es 213 Posten in der Magistratur, in den vergangenen fünf Jahren kamen mehr als 70 hinzu. Seit September 2017 sind allein im Bereich Strafverfolgung 45 neue Stellen besetzt worden. Die Magistratur ist somit in nur fünf Jahren um ein Drittel angewachsen. Der Schritt war unerlässlich, zum einen gab es erheblichen Nachholbedarf, zum anderen sind neue Aufgaben hinzugekommen. In der Verwaltung wurden auch viele neue Stellen geschaffen. Nun haben wir aber ein anderes Problem: Die Cité judiciaire platzt aus allen Nähten. 

Luxemburger Wort: Bei der Reform des Jugendschutzes hagelte es Kritik. Wie geht es nun weiter?

Félix Braz: Die Erkenntnis, dass das Jugendschutzgesetz reformiert werden muss, reicht ins Jahr 1999 zurück und ist immer wieder gescheitert. Nach 2013 habe ich einen neuen Anlauf genommen mit allen beteiligten Akteuren. Wir haben den Entwurf gemeinsam ausgearbeitet. Leider wurde der Text anschließend heftig kritisiert, zum Teil von denselben Leuten, die an der Ausarbeitung beteiligt waren. Und dann passt es eben nicht. Die Kritik macht sich hauptsächlich an einem Punkt fest: In Luxemburg sprechen wir von Jugendschutz, in anderen Ländern gibt es das Jugendstrafrecht. Nach längeren Gesprächen mit der Präsidentin des UN-Kinderrechtskomitees, Renate Winter, bin ich zur Überzeugung gelangt, dass die Antwort nicht lauten kann, Jugendschutz oder Jugendstrafrecht, sondern vielmehr Jugendschutz und Jugendstrafrecht. Ich bin der Meinung, dass wir den Entwurf tief greifend überarbeiten sollten. 

Anstatt den Jugendschutz oder das Jugendstrafrecht in den Mittelpunkt zu stellen, sollten wir uns auf eine Jugendjustiz auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention fokussieren. Das würde es uns erlauben, beide Elemente zu vereinen und detaillierter vorzugehen. Der Text wäre kohärenter aber auch verständlicher. Das wäre auch im Sinn der Jugendlichen. Frau Winter hat uns übrigens zugesichert, dass sie uns bei der Überarbeitung des Entwurfs zur Hand gehen wird. Auch die Uni wird uns im Rahmen eines Forschungsprojekts bei der späteren Umsetzung begleiten, so wie dies bereits bei der Reform des Strafvollzugs der Fall ist. 

Mein Ziel ist es, dass Luxemburg bei der Jugendjustiz eine Vorreiterrolle übernimmt. 

Luxemburger Wort: Die Reform des Abstammungsrechts ist ebenfalls seit Jahren anhängig... 

Félix Braz: Das Abstammungsrecht ist ein( sehr komplexe Materie. Die zentralen Punkte betreffen die Elternschaft und die Frage, wie sie juristisch abgesichert wird. Angesichts des medizinischen Fortschritts gibt es heute eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie Leben entstehen kann, etwa durch künstliche Befruchtung oder durch Leihmutterschaft. Das moderne Abstammungsrecht muss auf all diese Fragen eine Antwort liefern. Es muss den unterschiedlichen Formen der Elternschaft Rechnung tragen und klare Antworten geben. Wir müssen eine juristische Grundlage schaffen, die das Wohl des Kindes ohne Wenn und Aber in den Mittelpunkt stellt. Das Gesetz muss deshalb die Rechte der Kinder ganz genau definieren. Heute unterscheiden wir immer noch zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern. Solche Unterschiede darf es nicht mehr geben.

Wir dürfen aber auch keinen Unterschied machen zwischen Kindern von biologischen Eltern oder von Eltern, die auf irgendeine Form von medizinischer Unterstützung zurückgegriffen haben. Wir müssen Kinder von sämtlichen Formen der Menschwerdung berücksichtigen. Das bedeutet, dass wir klären müssen, wie es beispielsweise um das Erbrecht bestellt ist, wenn Kinder etwa nach dem Tod des Vaters mittels einer tiefgefrorenen Samenspende gezeugt werden... Beim Abstammungsrecht verbirgt sich hinter jeder Antwort eine neue Frage.

Luxemburger Wort: Der Staatsrat hat die Reform des Notariatswesens regelrecht zerrissen. Wie wollen Sie nun weiter vorgehen? 

Félix Braz: Das Notariat ist in Luxemburg kein Freiberuf wie etwa die Anwaltschaft. Der Zugang zum Notariat ist begrenzt. Gleichzeitig gibt es aber ein Urteil des EuGH, das besagt, dass die EU-Mitgliedstaaten ihr Notariat für Notare aus den anderen EU-Ländern öffnen müssen. Darüber hinaus wollen wir das Notariat gleichzeitig modernisieren. All diese Vorgaben unter einen Hut zu bringen, kommt der Quadratur des Kreises gleich. Die Kritik des Staatsrats war daher vorhersehbar. Ich werde das Gutachten in den kommenden Wochen zusammen mit den Vertreten der Notariatskammer analysieren. Wir werden wahrscheinlich eine Reihe von Ideen fallen lassen. Die Einwände des Staatsrats werden uns sicherlich helfen, den Text auch einfacher zu machen.

 

 

 

 

 

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