Félix Braz au sujet du régime pénitentiaire

"Wir werden im Gefängnis nie 100% von dem erzielen, was wir uns wünschen"

Interview: Annette Duschinger

Lëtzebuerger Journal: Herr Braz, waren Sie schon im Gefängnis?

Félix Braz: Ja, öfters sogar: Als Jugendlicher mit einer Fußballmannschaft, als Übersetzer mit einem Strafverteidiger, als Fraktionsmitarbeiter, als Abgeordneter und meine erste Visite als Minister führte mich einen ganzen Tag nach Schrassig. Das war eine bewusste Wahl, denn das Gefängnis hat für mich eine große politische Wichtigkeit.

Lëtzebuerger Journal: Warum liegt Ihnen das Thema Strafvollzug so am Herzen?

Félix Braz: Der Freiheitsentzug ist die größte Strafe, die radikalste Ausnahme in einer freien Gesellschaft. Die Bedingungen, unter denen er sich vollzieht und durchlaufen wird, ist eine ganz sensible Frage. Häftlinge haben keine Lobby, sie haben aber Rechte, weil Leute sich über Jahrzehnte,für diese Rechte eingesetzt haben. Sicher, die Täterhaben die Rechte anderer nicht respektiert und eine Strafe bekommen, aber die Gesellschaft muss sich immer wieder fragen, wie sie mit den Menschen im Gefängnis umgeht. Das ist auch nicht gerade der Bereich in der Gesellschaft, für den die meisten Gelder ausgegeben werden - ganz im Gegenteil: Wir haben seit vielen Jahren Probleme mit der Überbelegung im Gefängnis.

Lëtzebuerger Journal: Im Regierungsprogramm steht, dass Sie eine Auswertung machen wollen, Statistiken erstellen wie konnte eine Reform angegangen werden, ohne genaue Erhebung der Situation?

Félix Braz: Wir funktionieren seit dreißig Jahren so, dass wir weder für Schrassig noch für Dreiborn - im Bereich des Jugendschutzes - Zahlen haben. Ich habe dieses Defizit, dass wir nicht wissen, was mit den Leuten nach der Haftstrafe passiert immer beanstandet, denn man muss Zahlen haben, um seine Arbeit einschätzen zu können. Diese Herausforderung gehen wir nun parallel an, denn wir können nicht warten, bis die ersten Zahlen vorliegen.

Lëtzebuerger Journal: Warum dauert die Strafvollzugsreform so lange? Sie sollte ja eigentlich schon Ende 2011 verabschiedet werden.

Félix Braz: Es dauert nicht lang, es ist nur sehr kompliziert. Da treffen ganz viele Aspekte aufeinander. Es geht um die Beziehung zur Magistratur, zur Generalstaatsanwaltschaft, die ja für den Strafvollzug zuständig ist und die rechtliche Situation der Häftlinge ändert man nicht so einfach. Gleichzeitig soll ja ein großer Wurf gemacht werden, indem wir ein neues Gebäude, den "Ueschterhaff" dazu bekommen.

Félix Braz: Ich kann nur immer wieder betonen, dass wir ohne das neue Untersuchungsgefängnis keine Verbesserung in Schrassig bekommen. Wenn man keinen Platz, keine räumliche Möglichkeiten hat, kann man keine Ausbildung anbieten, keine anderen Konzepte zur Reinsertion umsetzen - der "Ueschterhaff" wird uns dies nun erlauben. Zum ersten Mal nach vielen Jahren können wir eine größere und allgemeine Diskussion über die Situation des Strafvollzugs in Luxemburg führen.

Félix Braz: Eines ist aber klar: Wir werden im Gefängnis nie 100% von dem erzielen, was wir uns wünschen. Mit ganz viel Engagement und gutem Willen kommen wir auf 80% - damit müssen wir uns als Gesellschaft abfinden, auch wenn natürlich die Motivation bleiben sollte, auch die restlichen 20% noch zu erreichen.

Lëtzebuerger Journal: Wie wollen Sie diese Diskussion fuhren? Auch öffentlich?

Félix Braz: Eine öffentliche Diskussion ist sicher immer richtig. Aber ehrlich gesagt sind meine ersten Ansprechpartner, meine Priorität die Leute vor Ort: Die Mitarbeiter aus dem Gefängnis und von der Staatsanwaltschaft. Sie kennen die Probleme, sind sehr motiviert und warten schon lange darauf, den Strafvollzugweiter verbessern zu können.

Lëtzebuerger Journal: In welchen Punkten wollen Sie die Reform nachbessern?

Félix Braz: Es liegen ja zwei Projekte vor: Das eine ist der Strafvollzug an sich, das andere eine gemeinsame Direktion und Verwaltung für die drei Gefängnisse Schrassig, Givenich und Ueschterhaff. Zu beiden Projekten haben wir sehr viel, oft divergente Kritiken bekommen. In Arbeitsgruppen sind wir dabei, sie Punkt für Punkt durchzugehen und Änderungen einzubringen. Ich würde zwar gerne an den bestehenden Texten weiterarbeiten, aber jedes Gesetz hat jeweils 55 Artikel und es liegen jetzt schon 66Anderungen pro Projekt vor, sodass wir uns die Frage stellen müssen, ob wir nicht ganz neue Entwürfe einbringen sollten.

Félix Braz: Ziel ist auf jeden Fall, vor Ende des Jahres die Texte dem Parlament zu übergeben, aber es ist noch sehrviel Arbeit zu leisten. Meine erste Aufgabe war es, die Planung für alle Projekte neu aufzustellen und zu straffen.

Lëtzebuerger Journal: Es soll laut Regierungsprogramm auch mehr auf Alternativen zur Haftstrafe gesetzt werden?

Félix Braz: Wir müssen zwei Sachen überdenken: Wir müssen im Strafgesetzbuch Artikel für Artikel die Frage stellen, ob wir wirklich soviel penalisieren müssen und wenn, ob wir nicht mehr auf alternative Strafen zurückgreifen können. Ein Begriff, den ich nicht gerne habe, denn auch das sind ja Strafen. Nützlichere Strafen verhängen, ist aber definitiv ein Weg, den Luxemburg generell stärker begehen sollte. Es wäre im Interesse des Täters und der Gesellschaft. Die Politik kann aber nur den legalen Rahmen dafür setzen, der Richter, der frei ist in seiner Entscheidung, darf sie dann auch verhängen, muss aber nicht.

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